Gedichte von Karl Otto Sauerbeck

 

aus Herbstlaubstimmen, Gesammelte Gedichte

 

Inhalt

Ein schlimmes Erlebnis

Plätzchen im Zillertal

Im Wirtshaus

Die Klosterkirche in Oberndorf

Links

 

Ein schlimmes Erlebnis

Man holte den einen vom Fernsehgerät,

wo er die Tagesschau sah,

den andern aus dem Bureau,

wo er am Bildschirm Daten ablas,

den dritten von einem Vortrag,

wo er eifrig mitstenographierte,

mich von der Schreibmaschine,

deren Typen ich klappern ließ,

verlud uns in einen Omnibus

ohne Nummernschild und Kilometerzähler,

und ein Fahrer aus grünem Glas

fuhr uns im dritten Gang

durch die Sandwüste,

durch die Kieswüste,

durch die Steinwüste.

 

Als wir den ersten Halt machten,

saßen wir unter einem Baum,

an dessen Fruchtstielen Kuhfladen,

an dessen Blattstielen Rehlosung

zu mir herunterhing,

und ein blauer Mond

bestrahlte die Kuhfladen,

und ein grüner Mond

beleuchtete die Rehlosung,

und weil wir Kohldampf schoben,

aßen wir vom einen

und naschten vom anderen

und waren überrascht,

daß beides so gut sättigte.

 

Als wir zum zweitenmal

aussteigen durften,

standen wir vor einer Quelle,

die Jauche ergoß,

und vor einem Klärteich,

und da es im Omnibus heiß war

und unsere Zäpfchen

am Gaumen klebten,

tranken wir gierig

aus der stinkenden Quelle

und fanden danach

das Abwasser im Teich

ganz hervorragend

und schlürften so viel davon,

daß uns der Magen weh tat.

 

Bei der dritten Pause

waren unsere Augen so müde,

daß sie uns zufallen wollten,

unsere Beine so schwer,

daß sie uns nicht tragen konnten,

unsere Geister so stumpf,

daß wir das Geschimpfe

des gläsernen Chauffeurs

nicht mehr hören konnten;

aber er stieß uns

mit einer Stange heraus,

weil er den Wagen abschließen wollte,

und der Erdboden,

auf dem wir herumkugelten,

stak voller Stecknadeln,

an denen wir uns ritzten,

und aus den gelben Wolken

fielen Messer herab,

die uns in die Haut schnitten;

aber wir waren so matt,

daß der Oberschenkel weiterschlief,

wenn die Wade zu bluten begann.

 

Als der Morgen graute,

stand eine grüne Sonne im Osten,

eine viereckige gelbe im Südwesten,

eine sechseckige braune im Norden,

und der Chauffeur aus Glas

zog uns mit einem Elektromotor

in den Omnibus hinein,

und er spritzte dem einen von uns

ein Herzalkaloid in die Venen

und erstickte den kleinen Angestellten

mit einem dicken schwarzen Tuch

und verbrannte den dritten von uns

in den giftgrünen Flammen

eines prasselnden Feuers

und zerquetschte dann mich

in einem riesigen Mörser

aus Trivinylchlorid.

 

Als wir dann tot waren,

wunderten wir uns sehr,

daß wir keine Griebenwurst kauten,

keine Hormone absonderten,

keinen Chylus verdauten,

daß kein Blut durch die Adern floß,

aber das lästige Bewußtsein

trotzdem nicht von uns wich,

und es mußte der eine von uns

Lebenden Alpdrücke einflüstern,

daß sie verängstigt aufführen,

der andere schnarchende Schläfer

an ihre Untaten erinnern,

daß sie schweißgebadet

mit bösem Gewissen weiterschliefen,

der dritte in weichen Betten

Entschlummerten versäumte Gelegenheiten

ins Gedächtnis rufen,

daß sie mit Herzklopfen erwachten.

 

Ich aber muß vernichten,

was mich begeistert,

muß rotfigurige Lekythoi

mit einem Hammer zertrümmern,

Noten mit Beethovens Fünfter

in ein Herbstfeuer werfen,

gaukelnde Segelfalter

zwischen Daumen und Zeigfinger

zu Brei zerdrücken,

Blütenstände der Ragwurz

mit Planierraupen überfahren,

und wenn ich einmal zögere,

sticht ein Messer scharfe Schnitte

in meinen toten Rücken,

bohrt eine Nadel tiefe Stiche

in mein totes Gesäß,

brennt eine Flamme Brandzeichen

in meine tote Brust.

                                                                         

Plätzchen im Zillertal

Die Espen zittern vor mir,

als wäre ich ein Diktator,

die versammelten Grashalme

verbeugen sich devot vor mir

und knicksen artig

wie Schulmädels vor ihrem Rektor.

Hier sollte ich bleiben können,

bis der letzte Atem die Lunge füllt,

unter den wandernden Wolken

wie unter einem Baldachin,

ein unsichtbarer Domestik

hält mir die Buche

als grünen Sonnenschirm über den Kopf,

und ich vergesse so ganz,

während die Grillen mir aufspielen,

wie wenig ich unter den Menschen bin.

                                                                         

Im Wirtshaus

In Beffendorf saß einer in der Krone,

der einen in der Krone sitzen hatte:

dem Wirtshund leerte er sein Bierglas lachend

auf seinen Pelz, daß der sich schüttelte:

„Du hast es gut in dieser Badeanstalt,

du nimmst ein Bad in edlem Gerstensaft,

die Flöhe sterben dir in Alkohol."

Auch ich kam nicht ganz ungerupft davon,

er goß von seiner Bouillon auf mein Brot:

„Das war zu hart zu kauen, jetzt ist's weicher."

Der Beizer sprach: „Es tut mir leid!" und schob

mir eine neue Scheibe Brot aufs Teller.

Und ich? Ein Schimpfwort lag auf meinen Lippen,

doch war es Ärger? Nein, es war der Neid.

Der Rausch gab ihm den Mut zu blöden Scherzen,

für die ich nicht zu klug, nur viel zu feige;

sein Tun war nicht so monoton wie meines,

er las nicht aus, was wert, getan zu werden.

Wie gerne frönte ich den dümmsten Launen,

begäbe mich im Turban auf die Straße

und grunzte in der S-Bahn wie ein Schwein,

vergäße manchmal, daß mir die Vernunft

nicht jede Lebensäußerung erlaubt,

und fragte einen Dreck nach andrer Meinung!

Jedoch – ich bin gesetzt und recht gesittet,

auch an dem Suffkopf räche ich mich nur,

indem ich dieses Wortspiel auf ihn münze:

In Beffendorf sitzt einer in der Krone,

der einen in der Krone sitzen hat.

                                                                         

Die Klosterkirche in Oberndorf

Da, wo die Mönche das Sanctus gemurmelt, die None gehalten,

warten, in Reihen gestellt, Stühle aufs nächste Konzert;

unter der blauen Maria dort droben im Deckengewölbe

klatschen die Leute Applaus, Klassischem, aber auch Beat.

Hochwürden, der du so grämlich die Gasse hinuntergegangen

in deinem schwarzen Ornat, bist du darüber erzürnt?

Glaube mir, sogar der Abt wäre froh, Saxophone zu hören,

wo er am Rosenkranz still einst die Granate gezählt;

sind es auch weltliche Klänge, die steigen zum Deckengebälke,

sind sie doch friedlicher Art, harmlos, so ganz ohne Arg;

lange befestigten Arbeiter Seitengewehre an Flinten

hier in dem frommen Gebäu unter dem Himmelfahrtsbild,

die nach Kommando die Menschen zu Opfern von Menschen zu machen

von der Gesellschaft bestimmt, die auf Kultur sich beruft.

Ist es nicht tröstlich, im Saale des Friedensverfechters aus Juda

Be-bop zu hören und Hot, der niemand umbringen wird?

Und auch der Maler, der bäuchlings auf hohem Gestell mit dem Pinsel

Karo um Karo gefüllt, wäre von alldem entzückt.

Hat nicht auch David den Psalter gespielt und Caecilia gefiedelt?

Ist nicht Musik, eine Kunst, Schwester des Malgeschäfts auch?

Ja, er entsänne gewiß sich der vielen profanen Gedanken,

die ihn beschäftigt, derweil flink er den Spachtel bewegt:

daß ihm der Metzger fürs Ochsenfleisch drittehalb Heller

berechnet, dachte er, während er just Englein ihr Wangenrot gab,

und als er schwellende Lippen Maria ins Antlitz gezaubert,

daß ihm der Würzwein geschmeckt, den ihm ein Frater kredenzt,

seufzte auch über die hohen Gefälle der Obrigkeit weidlich,

während er Spitzlichter klug über das Bildwerk verteilt.

Ich aber lächle: Ich sehe im Geiste die Musiker vor mir,

die schon in Stunden vielleicht Oboe spielen und Baß,

die Italienische Mendelssohns etwa, so denke ich fröhlich,

die doch in A-Dur gesetzt, und es erblickt der Flötist

oben die Kreuze des Malers, das mittlere, welches des Menschen

Sohn trägt, das rechte, das links, an denen Schächer gekrümmt.

Wie das ein passender Rahmen, so denkt er, für unsere Takte,

die mit drei Kreuzen, auch sie, decken das Notenpapier,

gis nämlich, fis und auch eis ist zu spielen; es stammt wohl die Tonart,

die unsern Hörern erklingt, gleichfalls von Golgatha her.

                                                                           

© Karl Otto Sauerbeck / Alkyon Verlag. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Alkyon Verlages.

Links

Biographische Notiz | Lyrik-Index | Forum | Verzeichnis