aus Herbstlaubstimmen, Gesammelte Gedichte
Die Klosterkirche in Oberndorf
Man holte den einen vom Fernsehgerät,
wo er die Tagesschau sah,
den andern aus dem Bureau,
wo er am Bildschirm Daten ablas,
den dritten von einem Vortrag,
wo er eifrig mitstenographierte,
mich von der Schreibmaschine,
deren Typen ich klappern ließ,
verlud uns in einen Omnibus
ohne Nummernschild und Kilometerzähler,
und ein Fahrer aus grünem Glas
fuhr uns im dritten Gang
durch die Sandwüste,
durch die Kieswüste,
durch die Steinwüste.
Als wir den ersten Halt machten,
saßen wir unter einem Baum,
an dessen Fruchtstielen Kuhfladen,
an dessen Blattstielen Rehlosung
zu mir herunterhing,
und ein blauer Mond
bestrahlte die Kuhfladen,
und ein grüner Mond
beleuchtete die Rehlosung,
und weil wir Kohldampf schoben,
aßen wir vom einen
und naschten vom anderen
und waren überrascht,
daß beides so gut sättigte.
Als wir zum zweitenmal
aussteigen durften,
standen wir vor einer Quelle,
die Jauche ergoß,
und vor einem Klärteich,
und da es im Omnibus heiß war
und unsere Zäpfchen
am Gaumen klebten,
tranken wir gierig
aus der stinkenden Quelle
und fanden danach
das Abwasser im Teich
ganz hervorragend
und schlürften so viel davon,
daß uns der Magen weh tat.
Bei der dritten Pause
waren unsere Augen so müde,
daß sie uns zufallen wollten,
unsere Beine so schwer,
daß sie uns nicht tragen konnten,
unsere Geister so stumpf,
daß wir das Geschimpfe
des gläsernen Chauffeurs
nicht mehr hören konnten;
aber er stieß uns
mit einer Stange heraus,
weil er den Wagen abschließen wollte,
und der Erdboden,
auf dem wir herumkugelten,
stak voller Stecknadeln,
an denen wir uns ritzten,
und aus den gelben Wolken
fielen Messer herab,
die uns in die Haut schnitten;
aber wir waren so matt,
daß der Oberschenkel weiterschlief,
wenn die Wade zu bluten begann.
Als der Morgen graute,
stand eine grüne Sonne im Osten,
eine viereckige gelbe im Südwesten,
eine sechseckige braune im Norden,
und der Chauffeur aus Glas
zog uns mit einem Elektromotor
in den Omnibus hinein,
und er spritzte dem einen von uns
ein Herzalkaloid in die Venen
und erstickte den kleinen Angestellten
mit einem dicken schwarzen Tuch
und verbrannte den dritten von uns
in den giftgrünen Flammen
eines prasselnden Feuers
und zerquetschte dann mich
in einem riesigen Mörser
aus Trivinylchlorid.
Als wir dann tot waren,
wunderten wir uns sehr,
daß wir keine Griebenwurst kauten,
keine Hormone absonderten,
keinen Chylus verdauten,
daß kein Blut durch die Adern floß,
aber das lästige Bewußtsein
trotzdem nicht von uns wich,
und es mußte der eine von uns
Lebenden Alpdrücke einflüstern,
daß sie verängstigt aufführen,
der andere schnarchende Schläfer
an ihre Untaten erinnern,
daß sie schweißgebadet
mit bösem Gewissen weiterschliefen,
der dritte in weichen Betten
Entschlummerten versäumte Gelegenheiten
ins Gedächtnis rufen,
daß sie mit Herzklopfen erwachten.
Ich aber muß vernichten,
was mich begeistert,
muß rotfigurige Lekythoi
mit einem Hammer zertrümmern,
Noten mit Beethovens Fünfter
in ein Herbstfeuer werfen,
gaukelnde Segelfalter
zwischen Daumen und Zeigfinger
zu Brei zerdrücken,
Blütenstände der Ragwurz
mit Planierraupen überfahren,
und wenn ich einmal zögere,
sticht ein Messer scharfe Schnitte
in meinen toten Rücken,
bohrt eine Nadel tiefe Stiche
in mein totes Gesäß,
brennt eine Flamme Brandzeichen
in meine tote Brust.
Die Espen zittern vor mir,
als wäre ich ein Diktator,
die versammelten Grashalme
verbeugen sich devot vor mir
und knicksen artig
wie Schulmädels vor ihrem Rektor.
Hier sollte ich bleiben können,
bis der letzte Atem die Lunge füllt,
unter den wandernden Wolken
wie unter einem Baldachin,
ein unsichtbarer Domestik
hält mir die Buche
als grünen Sonnenschirm über den Kopf,
und ich vergesse so ganz,
während die Grillen mir aufspielen,
wie wenig ich unter den Menschen bin.
In Beffendorf saß einer in der Krone,
der einen in der Krone sitzen hatte:
dem Wirtshund leerte er sein Bierglas lachend
auf seinen Pelz, daß der sich schüttelte:
Du hast es gut in dieser Badeanstalt,
du nimmst ein Bad in edlem Gerstensaft,
die Flöhe sterben dir in Alkohol."
Auch ich kam nicht ganz ungerupft davon,
er goß von seiner Bouillon auf mein Brot:
Das war zu hart zu kauen, jetzt ist's weicher."
Der Beizer sprach: Es tut mir leid!" und schob
mir eine neue Scheibe Brot aufs Teller.
Und ich? Ein Schimpfwort lag auf meinen Lippen,
doch war es Ärger? Nein, es war der Neid.
Der Rausch gab ihm den Mut zu blöden Scherzen,
für die ich nicht zu klug, nur viel zu feige;
sein Tun war nicht so monoton wie meines,
er las nicht aus, was wert, getan zu werden.
Wie gerne frönte ich den dümmsten Launen,
begäbe mich im Turban auf die Straße
und grunzte in der S-Bahn wie ein Schwein,
vergäße manchmal, daß mir die Vernunft
nicht jede Lebensäußerung erlaubt,
und fragte einen Dreck nach andrer Meinung!
Jedoch ich bin gesetzt und recht gesittet,
auch an dem Suffkopf räche ich mich nur,
indem ich dieses Wortspiel auf ihn münze:
In Beffendorf sitzt einer in der Krone,
der einen in der Krone sitzen hat.
Da, wo die Mönche das Sanctus gemurmelt, die None gehalten,
warten, in Reihen gestellt, Stühle aufs nächste Konzert;
unter der blauen Maria dort droben im Deckengewölbe
klatschen die Leute Applaus, Klassischem, aber auch Beat.
Hochwürden, der du so grämlich die Gasse hinuntergegangen
in deinem schwarzen Ornat, bist du darüber erzürnt?
Glaube mir, sogar der Abt wäre froh, Saxophone zu hören,
wo er am Rosenkranz still einst die Granate gezählt;
sind es auch weltliche Klänge, die steigen zum Deckengebälke,
sind sie doch friedlicher Art, harmlos, so ganz ohne Arg;
lange befestigten Arbeiter Seitengewehre an Flinten
hier in dem frommen Gebäu unter dem Himmelfahrtsbild,
die nach Kommando die Menschen zu Opfern von Menschen zu machen
von der Gesellschaft bestimmt, die auf Kultur sich beruft.
Ist es nicht tröstlich, im Saale des Friedensverfechters aus Juda
Be-bop zu hören und Hot, der niemand umbringen wird?
Und auch der Maler, der bäuchlings auf hohem Gestell mit dem Pinsel
Karo um Karo gefüllt, wäre von alldem entzückt.
Hat nicht auch David den Psalter gespielt und Caecilia gefiedelt?
Ist nicht Musik, eine Kunst, Schwester des Malgeschäfts auch?
Ja, er entsänne gewiß sich der vielen profanen Gedanken,
die ihn beschäftigt, derweil flink er den Spachtel bewegt:
daß ihm der Metzger fürs Ochsenfleisch drittehalb Heller
berechnet, dachte er, während er just Englein ihr Wangenrot gab,
und als er schwellende Lippen Maria ins Antlitz gezaubert,
daß ihm der Würzwein geschmeckt, den ihm ein Frater kredenzt,
seufzte auch über die hohen Gefälle der Obrigkeit weidlich,
während er Spitzlichter klug über das Bildwerk verteilt.
Ich aber lächle: Ich sehe im Geiste die Musiker vor mir,
die schon in Stunden vielleicht Oboe spielen und Baß,
die Italienische Mendelssohns etwa, so denke ich fröhlich,
die doch in A-Dur gesetzt, und es erblickt der Flötist
oben die Kreuze des Malers, das mittlere, welches des Menschen
Sohn trägt, das rechte, das links, an denen Schächer gekrümmt.
Wie das ein passender Rahmen, so denkt er, für unsere Takte,
die mit drei Kreuzen, auch sie, decken das Notenpapier,
gis nämlich, fis und auch eis ist zu spielen; es stammt wohl die Tonart,
die unsern Hörern erklingt, gleichfalls von Golgatha her.
© Karl Otto Sauerbeck / Alkyon Verlag. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Alkyon Verlages.
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