Wjatscheslaw KuprijanowMuster auf BambusmattenDrei Auszüge – Russisch und in deutscher Übersetzung
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Als ein Reisender in eine ihm noch unbekannte Stadt kam,
erblickte er am Horizont einen wunderschönen Feuerschein. »Was ist
das?« fragte er seine Reisegefährten, die – scheinbar erfahrener –
diesem Feuerschein keinerlei Bedeutung beimaßen. »Das sind brennende Zeitungen«, antworteten ihm die erfahreneren Reisegefährten. »In dieser Stadt glaubt man, die Wahrheit brenne im Feuer nicht, deshalb wird nur das gelesen, was nach der Verbrennung übrigbleibt.« »Aber bleibt denn da tatsächlich was übrig?« verwunderte sich der Reisende, der höchstwahrscheinlich ein Ausländer war. »Praktisch nichts«, erwiderte man ihm, »allerdings erzeugen brennende Hieroglyphen eine solch wundersame Flamme, dass ihr Lodern den Einwohnern das Anschauen der Wahrheit ersetzt.« Nach derlei Erklärungen beschloß der Reisende, keinen Halt zum Erwerb neuester Zeitungen zu machen, um der Stadt einige letzte Funken für zukünftige Bewunderer zu erhalten. (Übersetzung: Manuela Runge) |
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Ein gewisser Go legte sich am Tage nie hin, und nachts
konnte ihn keiner jemals zum Aufstehen zwingen. Er forderte auch von
allen anderen die strenge Einhaltung der Ordnung, weshalb er auch nicht
sehr gut auf die Nachtwächter zu sprechen war, die er eigentlich nie zu
Gesicht bekam. Seine Prinzipien erklärte er grundsätzlich für allgemeingültig: Wenn alle auf der einen Hälfte der Erdkugel stehen und auf der anderen ruhig liegen, entsteht ein gewisses Ungleichgewicht, das die Erde zur Drehung zwingt. Damit die Drehung nicht aufhört, müssen die, die auf der einen Seite stehen, sich rechtzeitig hinlegen, und die, die auf der anderen Seite liegen, sich zu dieser Zeit sofort erheben. Auf diese Weise bekommen alle Bewohner dieses Planeten die gleiche Chance die Sonne zu genießen. Gos Irrtum erscheint der Mehrheit der Menschen heute als erwiesen. Aber sein unerschütterlicher Glaube an die Wichtigkeit der menschlichen Existenz und an die planetarische Macht der Tagesordnung verdient auch heute Begeisterung, obwohl er schon längst nicht mehr unter uns weilt und offensichtlich an der Drehung der Erde nicht mehr aktiv beteiligt ist. (Übersetzung: Rudolf Stirn) |
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Einmal stieg der Jadenherr zur Erde herab und begab sich
in die erstbeste Kneipe. Er war noch nicht ganz materialisiert und
konnte unbemerkt an dem Wächter vorbeikommen.
Der Wirt erkannte ihn auch nicht und schlug ihm ein Gläschen Reiswodka vor. Der Jadenherr lehnte das nicht ab und trank aus, und so noch einige Male. Als er im Begriff war, diesen wundersamen Ort zu verlassen, forderte der Wirt ihn zum Zahlen auf. Da passierte das erste Wunder: der Jadenherr reichte dem Wirt einige chinesische Juans. Der Wirt verschmähte sie empört, da bot ihm der Buddha US-Dollars an, das war schon das zweite Wunder. Aber die Dollars lehnte der Wirt auch höflich ab. Dann holte der Herr einen Haufen russischer Rubel hervor, da geschah das dritte Wunder: Der Wirt nahm sie mit Vergnügen an, danach machte sich derJadenherr mit Würde aus dem Staube. (Übersetzung: Annette Kolb) |
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Wjatscheslaw KuprijanowMuster auf BambusmattenAlkyon Verlag, Weissach i.T., 2001 Erhältlich im Buchhandel und Online-Buchhandel, z.B. Amazon
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