Es begann als Queckenwurzel,
Ein weißer Faden,
Ziellos wuchernd,
Sich verzweigend, sich teilend
Mit dem Ziel der Fortpflanzung.
Als ich sie verfolgt und gejätet hatte, wurde aus ihr
Ein Brombeerschößling, der durch
Die Blätter der Büsche, Bäume kletterte,
Mit einer Wurzelspitze zum Zustoßen.
Ich zog an diesem Ding, zog
Meter um Meter heraus;
Es kam immer mehr.
Ich zog und zog, bis
Ich sah, daß es nun
Aufrecht stand,
Mit seinem Ende im Weltraum,
Mit einer Wurzel im Himmel.
Vor dem Nachhausegehen, nach der Entlassung
Aus diesem Schlafsaal, dieser Baracke,
Die ich jahrelang mit mir aufgezwungenen
Kameraden geteilt hatte,
Fiel mir neben einem Bett - nicht meinem -
Mein Erbstück ins Auge,
Ein lang vergessenes Tablett,
Mit uralten, glasierten Fliesen ausgelegt,
Die ungewöhnliche Muster trugen.
"Meins," sagte ich zu der Ordonnanz,
"Ich werde es mitnehmen."
Als ich es berührte, sah ich das Gesicht
Dessen, der es benutzt hatte.
"Die Farben, die Linien, die mir so gefallen,"
Las ich in dem Blick, der meinem begegnete,
"Sind auch für ihn sie selbst,
Gefallen ihm und haben all denen gefallen,
Die ich ihrem Tod überlasse,
Die ich zum Sterben verlasse.
Unserem Tod im Leben werde ich es hinterlassen,
Das tote und lebendige Ding."
Mir neu und glänzend stimmte das Tablett zu.
Zum Schwimmen war ich gegangen,
Gegen Mittag, an einem heißen Tag.
Mit vier Krankheiten und ohne meine verlegten oder gestohlenen Kleider
Kroch ich bei Anbruch der Dunkelheit durch die Straßen.
Wenn ich mich einfach hinlegte, war es um mich geschehen.
Wenn ich mich zeigte, nackt wie ich war, was dann?
Doch hatte ich ein zerschlissenes Handtuch
Und konnte nicht aufgeben.
Hinter Abfalleimern und Müllcontainern hervor
Schleppte ich mich zu einer Tür -
Der eines Schuppens, einer Werkstatt oder eines Lagers, schien mir -
Nicht mehr erwartend als Anweisungen, Vermittlung.
Die Frau lachte, doch ließ sie mich ein.
Ich schaute mich um: der Raum war eine Krankenstation.
"Alles ist für Sie bereit," sagte sie,
Immer noch lachend, und zeigte
Auf das erste Bett rechts.
"Hier werden Sie kein Lendentuch brauchen.
Und auch nicht mehr Ruhe als nötig zur Feststellung
Der Krankheit, an der Sie gestorben wären.
Dann wird es auch hell genug sein,
Daß Sie heimgehen können, geheilt."
Eine erste Version meiner deutschen Übersetzung wurde von Michael Hamburger im Mai
1986 gelesen. Seine Änderungsvorschläge habe ich eingearbeitet. Die hier wiedergegebenen
Fassungen sind die vom Autor autorisierten. Die Übersetzungen waren für eine zweisprachige
Ausgabe von Gedichten Michael Hamburgers vorgesehen, die 1986 u.a. Suhrkamp und Rowohlt
vorgelegt wurde. Von einer tatsächlich erfolgten Publikation in Buchform ist mir nichts bekannt.
Allerdings sind seither mehrere Bücher von Michael Hamburger in Deutschland erschienen.
J. Beilharz, im August 2001
© 1986 Michael Hamburger und Johannes Beilharz