Louise Bogan

(USA, 1897-1970)
Zwei Gedichte in deutscher Übersetzung von Johannes Beilharz

   

Eisenbahnmelodie

Zurück durch Wolken
Zurück durch Lichtung
Zurück durch Distanz
Zurück durch Stille

Zurück durch Haine
Zurück durch Girlanden
Zurück an Flüssen vorbei
Zurück unter Bergen

Zurück durch Gewitter
Zurück durch Städte
Zurück durch Sterne
Zurück durch Stunden

Zurück durch Ebenen
Zurück durch Blumen
Zurück durch Vögel
Zurück durch Regen

Zurück durch Rauch
Zurück durch Mittag
Zurück an Liebe entlang
Zurück durch Mitternacht

Train Tune

   

Drei Lieder

Lied der kleinen Lobelia

Einst war ich Teil
Deines Blutes, deines Marks.
Nun nicht mehr –
Ich bin allein, allein.

Jeden Tag am Morgen
Trete ich aus deinem Schlaf;
Kann nicht zurück.
Weine und weine.

Nicht verloren, aber verlassen,
Zurückgelassen;
Dies ist meine Hand
Auf deinen Gedanken.

Ich weiß nichts.
Ich kann kaum sprechen.
Aber dies sind meine Tränen
Auf deiner Wange.

Du siehst dir dein Gesicht
Im Spiegel an.
Dies ist das Gesicht,
Das mein Bildnis trägt.

Gib mir deinen Schlaf zurück,
Bis zu deinem Tode,
Sonst weine ich, weine,
Sonst werde ich schluchzen.

    

Lied des Psychiaters

Jene
Über die sie niemals geredet haben und niemals zu reden gedachten;
Jener Ort
Versteckt, erhalten,
Den selbst das hervorragende Auge der Seele
Nicht vollkommen wahrnimmt.
Aber sie sind da:
Jene Leute und jenes Haus und jener Abend, erneut
Erblickt über dem trennenden Fensterrahmen –
Der junge Wille gebrochen
Und alle Zeit zu ertragen.

Diese Stunden, in denen mörderische Wunden geschlagen werden,
Oft in Freude.

Ich höre.
Aber fern sind die Mangobäume (die Mangrovensümpfe, die Alraune . . .)
Und die Dickichte von – Palmen?
Ich beobachte sie wie vom Rand des Schlafes aus.
Oft reise ich zu ihnen in einem Boot ohne Ruder,
Auf Steuer und Segel vertrauend.
Am Ufer angelangt, entsteige ich dem Boot; ich überlasse es seinem Anker
Und gehe furchtlos durch Kräusel aus Wasser, aus Sand.
Dann sind Muscheln und Kiesel unter meinen Füßen.
Dann treten auch sie zurück,
Und ich befinde mich auf festem, trockenem Land mit nahebei wartendem
Hügel, ganz übersiebt mit Schatten,
In dem die Stille wartet.

Adieu, Phantome aus Fleisch und Ozean!
Erdvision
Heile und empfange mich.

   

Lied der maskierten Frau

Bevor ich den großen Mann sah,
Den wenige Frauen sehen sollten,
War Marmor für mich
Schön und imposant.

Und Tugend hatte ihren Platz
Und Übel seine Schrecken,
Aber nicht für jenes abgetragene Gesicht,
Nicht in jenen gebundenen Armen.

Three Songs

  

Diese Gedichte stammen aus Louise Bogan, The Blue Estuaries, Poems 1923-1968, The Ecco Press, New York 1977. Diese Sammlung enthält kein Vorwort und gibt keinen Aufschluss über das Entstehungsdatum der Gedichte. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass es chronologisch aufgebaut ist; dies würde bedeuten, dass diese beiden Gedichte dem Spätwerk entstammen, da sie ganz am Ende stehen. Damit ist anzunehmen, dass sie ungefähr zwischen 1965 und 1968 geschrieben wurden.

Johannes Beilharz

Übersetzung © 2002 Johannes Beilharz.

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