Harry Plotter |
Eine Art geistige Harry Potter-Variante |
IEs war einmal ein Junge, dem in die Wiege gelegt worden war die Gabe der Magie. Schon früh konnte er sich dieser Kraft bedienen. Wünschte er sich etwa im Alter von 9 Monaten eine Banane, so kam diese aus dem Obstkorb geflogen, schälte sich selbst und platzierte sich essbereit vor seinem Munde. War keine im Obstkorb, so materialisierte sich eine (wobei es natürlich durchaus denkbar wäre, dass irgendwelchen Nachbarn oder im nächstgelegenen Supermarkt dann eine fehlte). Schon früh erkannte er, dass diese seine Gabe seinen Eltern unerklärlich und, mehr noch, bedenklich schien. Einmal hatte er sich nach dem Anschauen eines Kinderfilms im Fernsehen alle dort reichlich vorhandenen Stofftiere gewünscht, so dass das Wohnzimmer vor lauter Plüschhasen, -bären, -zebras, -kamelen, -katzen und -hunden kaum noch betretbar war. Die Mutter, aus der Küche kommend, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und fiel in Ohnmacht. Harry – so hieß der Junge – drehte sich um, sah seine Mutter bewusstlos hinfallen, zählte zwei und zwei zusammen, ließ die Tiere wieder verschwinden und schaute weiter fern. Die Mutter kam zu sich, und alles außer einigen blauen Flecken war wieder in Ordnung. Auch Spielkameraden konnte er sich so herbeiwünschen. Manche waren reale Kinder, die er vom Spielplatz oder Kindergarten kannte. Wie von einem Wirbelwind wurden sie erfasst und in sein Spielzimmer getragen. Hatte Harry von ihnen genug, wünschte er sie wieder weg, nicht ohne zuvor zu fragen, wo sie denn gerne wären. Daher kam es in etlichen Fällen zu vermissten Kindern und Polizeisuchaktionen. Wiederum lernte er bald, dass er sich durch zu viel Willkür (denn nicht alle diese Kinder schwiegen still) Probleme einhandelte. Immer mehr übte er seine Kunst klugerweise nur im Geheimen aus. Hatte er Heißhunger auf Pfefferminzeis mit Schokoladenstückchen, zog er sich ins Badezimmer zurück, drehte den Schlüssel um, wünschte sich das Eis, flugs kam es geflogen, wünschte sich einen passenden grünen Plastiklöffel, flugs kam er geflogen, aß Eis, bis er genug hatte, wünschte den Rest in den Müllbehälter hinter dem A&P-Supermarkt, leckte sich Finger und Lippen und verließ das Bad. Beim Abendessen nahm er ein paar Häppchen zu sich, um kein Misstrauen zu erwecken, sagte, er habe eben mal keinen Appetit auf die ewigen Fischstäbchen, und ging spielen. Dann und wann wünschte er sich erdachte Spielkameraden. Einen Indianerjungen in hellbrauner Wildledermontur mit Federn im Haar und bestickten Mokassins. Der erste sprach kein Deutsch und war außerdem zu dick. Er schickte ihn wieder zurück. Er lernte es, seine Wünsche spezifisch zu formulieren. Wie nun, fragt sich der gebildete Leser, lernte Harry Überheblichkeit und Übersättigung vermeiden? Hierzu gab es einen spirituellen Führer, der manchmal auftauchte und ihm mit warnendem Zeigefinger etwas versagte. Dieser Führer hieß Malato und war eine Frau. Mit vollem Namen hieß sie Amanda Malato. In einem früheren Leben war sie Italienerin gewesen und hatte sich in Erinnerung daran für ihr momentanes geistiges Leben den so romantisch klingenden Namen Amanda Malato gegeben. Es kam also oft vor, dass statt der
Erfüllung eines Wunsches Amanda auftauchte und ihren Zeigefinger hochhielt. Manchmal erschien auch nur mitten in der Luft ein erhobener Zeigefinger. Erst stampfte er oft wütend auf. Dann resignierte er. Es war eben doch nichts zu machen. Und wenn nur der Zeigefinger kam, hatte sie nicht einmal Lust auf einen Streit. Manchmal sagte er ihr aber deutlich
seine Meinung. „Mit wem hast du geredet?“ fragte sein
Vater, der eben das Zimmer betrat.
IIDie Schule blieb Harry nicht erspart. Es war ihm jedoch erlaubt, sie sich ziemlich einfach zu machen. Bekam er Hausaufgaben, wünschte er sich, dass sie gemacht wurden. Mir nichts dir nichts waren sie gemacht. Er lernte trotzdem. Denn er wünschte sich einfach das Wissen, das er sich aneignen sollte. Schwuppdiwupp hatte er es. Allerdings erlaubte ihm Amanda nicht, sich zu viel Wissen anzueignen, das nicht seiner Altersstufe entsprach. So kam vielmals der Zeigefinger. Mitten im Unterricht, nur für ihn sichtbar. Weil ihm viel geschenkt wurde, konnte es nicht ausbleiben, dass Harry sich einsam fühlte. Die Schulkameraden waren einfach nicht auf seinem Niveau. Er bestellte Amanda. (Das funktionierte manchmal, wenn auch nicht immer.) „Wenn es viele von euch gibt, dann
muss es auch viele meiner Sorte geben, nicht wahr?“ Am nächsten Tag: „Wann werde ich
andere meiner Sorte kennen lernen, Amanda?“ Und sie verschwand. Er fluchte. Die ganze Nacht über grübelte er. Wer mochte das sein? Im Geiste ging er seine Schulkameraden durch. Nein, die Schulkameradinnen. Eine Sie. Etwa Carola, die Klassenbeste? (Neben ihm natürlich.) Eingebildet, besserwisserisch, hübsch, wenn auch etwas dicklich. Nein, die konnte es nicht sein. Die Extrapfunde hätte sie sich doch sicher weggewünscht. Dann kam mit einigem Abstand vom Notendurchschnitt her Sabine. Klein, schwarz, hässlich. Roch nicht besonders gut, sagten alle. Von einem Bauernhof. Die doch nicht. Aber wie war das mit dem Aussehen? Das konnte man sich doch nicht wegwünschen? Ausprobieren. Ich wünsche mir eine dunklere Hautfarbe. Er ging in den Windfang, da hing der große Spiegel. Er war dunkler geworden. Ärmel hoch. Auch da dunkler. Ich wünsche mir meine normale Hautfarbe zurück. Er war wieder heller. Ich möchte fünf cm größer sein. Der Zeigefinger! Ich möchte zweieinhalb
cm größer sein. Die Zeigefinger beider Hände! Gut, er würde etwas ausprobieren. Experimentelle Ermittlung nannte er es bei sich. Am nächsten Morgen vor der Schule: Ich wünsche, dass Sabines Stallgeruch weggeht. Ich wünsche ihr saubere Zähne. Ich wünsche ihr sauber gekämmtes Haar. Und sie soll sich nicht immer so ducken, wenn der Lehrer sie etwas fragt. Als er das Klassenzimmer betrat, saß
sie schon an ihrem Platz. Sauber gekämmtes Haar, ja wirklich! Er blieb bei ihr
stehen. Was bewies das nun? Nein, die ist es
nicht. Die blickt nicht durch. Aber es war interessant zu beobachten, dass
Sabine in der Pause nicht wie üblich gemieden wurde. Und sie duckte sich nicht,
als ihr Herr Oppner eine Frage stellte. Beantworte sie richtig! wies
Harry sie an. Wird vielleicht einmal fortgesetzt. © Johannes Beilharz 2001. |
Persönliche Anmerkung zum weltweiten Harry Potter-PhänomenDer Erfolg der Harry Potter-Bücher und des ganzen Rattenschwanzes von Nebenprodukten ist wohl das extremste Marketing-, Merchandising- und Konsumenten-Phänomen der letzten Dekade. Dank dieses Erfolgs stieg J. K. Rowling vom mittlerweile bekannten mythologischen Beginn in verzweifelter Armut zur wohl einzigen Schriftsteller-Milliardärin auf. Eine Unzahl von Trittbrettfahrern jeder Art (von Zauberstab- bis zu Tassenherstellern) hat vermutlich ebenfalls gute Gewinne gemacht. Wie man hört, gab es mehrere Verleger, die das Manuskript des ersten Buches dankend ablehnten und sich seither am liebsten in den Allerwertesten beißen würden. Diese Ablehnungen bezeugen jedoch auch, dass das Potenzial des bald lawinenartig zum Selbstläufer werdenden Harry Potter auch für Profis nicht auf Anhieb ersichtlich war, dass das Buch nicht aus der Masse angebotener Manuskripte herausstach. Wer einmal sehen möchte, was mittlerweile alles unter Harry Potter kommerzialisiert ist, klicke hier. Johannes Beilharz, Dezember 2005 |
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