Fünf Gedichte

von Volker Friebel

 

Dornröschen

Dornröschen steht am Maschinenwebstuhl.
Ihre Hand gleitet über den Stoff.
Wenn sie die Augen schließt,
sieht sie nur Rosen.

Das Klingen der Luft ist wie immer,
der eine Ton, noch darüber,
kommt vom Licht, von den Neonröhren
am nackten Beton.

Das Muster zieht sich endlos.
Die letzte Betriebsversammlung
war heftig und laut.
Die Pausen sind stumm.

Der Prinz sitzt müde am Küchentisch.
Es ist nicht das Bier, es ist
etwas am Weiß dieser Wände.
Das Radio tönt

die letzten Zahlen vom Arbeitsmarkt.
Sein Roß ist in den Ziffern verschwunden,
der Falke verflogen im Grau überm Boden.
Sein Blick schweift hinaus.

Rosen wachsen am Nachbarhaus.
Auf dem Weg liegt die rostige Schere.
Wie schön ein Lächeln immer schon wäre ...
Das Radio ist aus.

 

Froschkönig

"Königstochter, deine goldene Kugel
geb ich dir immer zurück.
Sie läge so sanft und mild auf dem Grund.
Doch deine Tränen will ich nicht haben,
die werden zu Perlen mir nicht,
die lösen sich auf im Brunnen,
die versalzen den Brunnen.

Dein Vater, wie er mich grüßte,
weise war er, aber geschlagen mit dir,
und die Wand war so hart wie dein Herz,
und dein Spielzeug stand um dich herum,
geschnitzt aus den Seelen der Bäume und Tiere.

Wenn du gingst, wenn du tanztest,
blieb hinter dir verbrannte Erde,
schwefliger Himmel, Stinkpfützen.
Und du lachtest und quengeltest
nach Schokolade und Gin.

Nun alles Jahre vorüber. Dein Vater
liegt tot in der Gruft. Wo dein Schloss stand,
breitet sich freundlich der See.
Einsam streifst du durch leere Wälder,
altgeworden, immer noch schön.

Manchmal kommst du scheu an den Brunnen,
wirfst deine goldene Kugel auf meinen Grund,
und ich werf sie zurück, und nichts weiter."

 

»Zum Eisernen Heinrich«

Zu lang, zu lang stand er dort,
zu lang außer Brot, und wartete
auf einen Herrn, treu zu dienen,
stand an die bröselnde Backsteinmauer gelehnt,
am Rand der neuen Gebäudekomplexe.
Die Polizisten kannten ihn bald,
kontrollierten nicht mehr.
Vorbei die Limousinen, beflaggt,
die Herrscher, Handtäschchen, Mappen.
Doch sein Blick fand keinen Halt in den Mienen,
glitt zu Boden, und ihre Schuhe glänzten.
Da war kein Staub, keine Spuren,
kein Schatten, nur glatte Geräusche,
sehr schnell verhallend.
Der Geruch wies anderswohin,
in ewige Fremde.
Da endlich löste er sich vom Stein.

Nun steht er hinter dem Tresen,
stämmig hinter der Reihe von Gläsern,
blitzend gespült, doch noch immer
schaut jedem Neuen er tief ins Gesicht,
wendet den Blick dann wie verlegen.
Zu Boden schaut er und fragt,
was es sein soll.

Über dem Tresen drei Eisenreifen,
nebeneinander, rund und geschlossen.

Über dem Kneipeneingang der Name,
beleuchtet bei Nacht.

 

Die Sterntaler

Nun, kleine Waise, mehr als die Kleider
hast du nicht mehr, in die Welt geh hinein!
Hier ein Stück Brot noch, nun geh weiter.
Du bist nicht allein.

Hungrig der Wanderer, zähl nicht
dein Brot, nimm es einfach und gib.
Und frierend die Kinder, drum wähl nicht
unter den Kleidern, hast sie doch lieb.

Gibst du weg dein letztes Kleid,
sagst: Dunkel, wer soll mich schon sehen?
Dann weißt du, es ist nicht mehr weit,
die Nacht wirst du nicht überstehen.

Allein und bloß unter Sternen,
atme nun, Schritt setz vor Schritt.
Über dir die strahlenden Fernen,
die wandern mit.

 

Lascaux

Und Bilder aus so lang vergangnen Jahren,
an Höhlenwänden, wo die wunderbaren
schwungvollen Rücken ganz in sich geschlossen,
das Wasser sich im stillen Kreis ergossen,
nie übern Rand der Welt hinausgeflossen.
Nur Bilder, auf dem Fels, ein Rest von Leben,
den siehst du an, und hörst Gedanken weben,
den weiten Weg verfolgen, von den Bärenfellen
ins Modejahr, auf immer neuen Wellen,
ins Jahr geschützter Pflanzen, Wälder, Tiere,
ins Jahr umschmeichelter, umsorgter Giere,
halb sorgend, hoffend, daß er sich verliere,
der Weg, vom Märchen in die Bomberschwärme
des Guten, auf der Suche nach der Wärme,
die doch im Kreis nur sein kann, und im Kleinen.
Da steht es klar bebildert auf den Steinen.
Und weiß sich nicht. Du staunst und möchtest weinen.

 

Alle Copyright © Volker Friebel 1999.

Biographische Information zu Volker Friebel | Prosa von Volker Friebel

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